Bürohaus Friedensallee 290
Bauherr
Grundstücksgesellschaft Friedensallee 290
Architekt
Tragwerksplanung
Wetzel & von Seht, Ingenieurbüro für Bauwesen
Architekturfotografie
Laudatio
Der Bauplatz zählt zu denen, die man erst anfasst, wenn es sonst keine Möglichkeiten mehr gibt, trotz der äußerst verkehrsgünstigen Lage am S-Bahnhof Bahrenfeld. Der mit Böschungen ausgestattete Bahndamm, eine abgesenkte Straße mit Unterführung und Altbebauung, die so weit als möglich schon an die Station herangeführt war, ergeben kein eben günstiges Umfeld für eine problemlose Bebauung.
Was haben Architekten und Ingenieure daraus gemacht, nachdem Projektentwickler das Potential dieser Lage entdeckt hatten? Die Böschung musste abgetragen und bei laufen-dem Zugverkehr abgestützt, ein bestehendes Schalthäuschen überbaut und für die anschließende Wohnbebauung eine Tiefgaragenzufahrt geliefert werden.
Das hört sich alles sehr kompliziert an – die Wirklichkeit ist wohl noch vielfältiger gewesen. Das zeigt sich an vielen Einzelheiten dem Betrachter – und wohl auch dem Nutzer!
Gleichwohl vermittelt das Gebäude und sein unmittelbares Umfeld zunächst eine gewisse Selbstverständlichkeit, Ruhe und Unaufgeregtheit. Das mag an dem recht einfachen, leicht zu überblickenden Baukörper liegen – ein tiefer Rechteck-Quader mit einer Schrägen, die auf eine leicht abgerundete Spitze zuläuft und damit reagiert auf die Unterführung der Straße. Davor ein Dreiecksplatz, der in die Böschungen von Bahn und Straße einge-schnitten ist und damit ebenfalls eine gewisse Ruhe gegenüber der stark vom Verkehr belasteten Friedensallee vermittelt. Schade nur, dass es nicht gelungen ist, hier einen Eingang zum Bahnhof zu etablieren.
Trotzdem, an dieser Stelle ist so etwas wie ein Glücksfall für die unmittelbare Umgebung entstanden, durch das Zusammenspiel von Stadtplanung und Architektur Hier trifft das ein wenig in Vergessenheit geratene Wort „Stadtbau“ wirklich zu! Dazu trägt nicht unwesent-lich die architektonische Behandlung der Fassade bei. Die grundrisslichen Vorgaben dazu sind wieder einfach: Ein dreibündiges System mit Nebenräumen in der „Dunkelzone“ wechselt durch die Schrägung zu einem normalen Bürohausgrundriss mit Flur und beidseitig angeordneten möglichst gleichmäßig zu belichtenden Räumen. So lassen die eigentlich gleichen Vorbedingungen auch die übliche Antwort mit Fensterbändern erwarten, deren Unverbindlichkeit auch durch die heute üblichen Erkerchen und Vorbauten nichts Tröstliches mehr bieten können.
Den Architekten ist es hier gelungen, die Langeweile dieser Einheitsfassaden zu stoppen! Und das mit einem Wechsel von einer den Wohngebäuden zugewandten Lochfassade an der Ostseite und Fensterbändern, die zudem in den Geschossen ungleich hoch sind, der Schräge zur Spitze hin folgen und ihr gewissermaßen „Fahrt“ verleihen, aber an zwei Punkten deutlich gestoppt werden. Das wird getoppt durch den gewählten spielerischen Übergang von Loch- zu Bandfassade, fast in jedem Geschoss voneinander versetzt.
Dieses „Spiel“ mit den Fensteröffnungen findet auf dem Hintergrund einer, wie vor den Kubus gelegten „Haut“ statt, gespannt um die Rundungen am Beginn und an der Spitze der Schrägen, gebildet aus einer Vielzahl von Metallplatten, die dem Ganzen tatsächlich den Charakter einer Haut verleihen.
Dieser Baukörper ist auf einen massiven Ziegelsockel gestellt, der von seinem Material her die Verbindung zu den angrenzenden Wohnbauten aufnimmt. Dadurch, dass der auf der einen Seite die Schräge der Böschung ausgleicht – gleichsam aus dieser herauszuwachsen scheint – und auf der anderen Seite mit der massiven Treppenanlage für den Bahrenfelder Kirchenweg auch den kleinen Vorplatz einfasst, dabei an Höhe gewinnt, sogar über das erste Obergeschoss hinausreicht, ist es gelungen, dem Baukörper trotz seiner nicht geringen Masse, Leichtigkeit zu vermitteln. Die Klammern der beidseitigen Böschungsmauern verhindern gleichsam das „Abheben“ und geben gemeinsam mit dem massiven Sockel der spielerischen und leichten Fassade Festigkeit und Erdgebundenheit.
Die Rückseite zur Bahn ist naturgemäß schon aus schalltechnischen Gründen weniger aufregend.
Es bleibt aber dabei, den Architekten und Ingenieuren ist es gelungen, in dieser schwierigen städtebaulichen Situation ein Bauwerk zu schaffen, das nicht nur „besteht“, sondern dem optischen Ende der Straße an der Unterführung zu einen Glanzpunkt verhilft, und das durch die Schräge zudem dieses scheinbare Ende aufhebt und den Tunnelbeginn und seine dahinter verborgene Öffnung markiert.
Die Mischung aus Spaß am Fassadenspiel und der deutlich spürbaren Wucht des einfachen Baukörpers auf breit auslagerndem Sockel hat den Architekten- und Ingenieur-verein bewogen, dieses gemeinsame Werk von Bauherrn (den Projektentwicklern!), Architekten und Ingenieuren als „Bauwerk des Jahres 2010“ zu küren.
Hamburg, den 29.9.2011
Gerhard Hirschfeld