Haus der Jugend Hamburg-Kirchdorf
Bauherr
Freie und Hansestadt Hamburg
Architekt
Kersten + Kopp Architekten BDA
Tragwerksplanung
Ifb Frohloff kühl ecker
Fotografie
Laudatio
„Bist Du Deutscher?“ fragt Özgür. Özgür ist 13 Jahre und aus Kirchdorf. Es ist ein Abend im September. Wir befinden in Wilhelmsburg irgendwo in der Mitte, einer Mitte, die es auf der größten Flussinsel Europas nicht wirklich gibt. Es regnet mal wieder und es ist Mittwoch im neuen Jugendzentrum von Kirchdorf. „Mittwoch ist Mädchentag,“ sagt die Betreuerin an der Tür „die Mädchen haben heute Ihren ungestörten Freiraum.“ Und die Jungs sind Draußen: Draußen im Haus. Wer heute kein Mädchen ist, dem bleibt trotzdem kaum etwas verborgen. Überall kann man hinein sehen: Ins Dach, durch die Wand, in die Halle, unter die Halfpipe, durch die Balkone, ins Tonstudio, und zwischen den Arbeitsräumen hindurch in den Himmel. Überall kann man umhergehen in diesem gebauten Sportgerät, in diesem Freizeitinstrument, dieser Übersprungshandlung von einem Haus zu sich selbst. Es ist genau das, was es ist: Nichts Anderes, nichts Weniger. Und die Cafeteria ist natürlich gleich am Eingang. Davor und danach gibt es viel Freiraum: In der Halle, auf den Balkonen, auf dem Außensportfeld, auf der Tribüne und in der Merkzweckhalle. Es regnet und es leuchtet zwischendrin: mal grün, mal rot, mal silbergraumetallic - und von innen. Das ist alles eindeutig nicht von gestern: Das ist Wilhelmsburg ohne Blop und ohne Allüren, ohne Bug und ohne Welle. Die Gesimse die es hier gibt, die sind aus Stahl; sie sind zum Skaten, ebenso wie die Rampen, die Treppen, die Geländer: Alles auf der Suche nach dem perfekten Slide, vom Erdgeschoss bis zur Halfpipe im zweiten Obergeschoss und wieder zurück. Gebaut aus Beton: Beton als Fertigteil, Beton als Spritzbeton, Beton als Ortbeton, Ort als Spannbeton, immer sichtbar, immer ablesbar. Und als Betonort ziemlich spannend, ziemlich schwebend, tanzend auf Stützen – und immer nüchtern: Hier lebt die Funktion, die Form bleibt folgsam, ist großartig und verspielt zugleich. Was wir sehen ist Architektur, was sich zeigt ist Architektur, was benutzt wird ist Architektur. – Nach der Schule geht’s in den Computerraum oder doch erst in die hauseigene Muckibude? Dazu müssen wir jetzt auf unserem Parcours d´achitecture schon in den zweiten, den obersten Stock. Und immer wieder flüstert das Haus: „Das gehört alles zu mir: Ich bin kein Kostümfest oder einfach Hochstapelei! Ich bin komponiert!“ Konkrete Funktionskomposition aus Luft, Glas und Beton, gemacht für: Volleyball, Handball, Basketball, Fußball, Kicker, Billard (wir sind übrigens mittlerweile wieder Drinnen) oder einfach: Zum Abhängen. Abhängen kann man draußen auch auf der neuen „Wilhelmsburger Nordwand“: Beton gefaltet und zum Klettern, wenn angeseilt und fachlich angeleitet.
Hier, nahe am Berta Kröger Platz, wo die sozialen Brennpunkte zu Hause sein sollen, gibt es jetzt einen neuen belastbaren Zwischenraum für Jungen und Mädchen, eine Insel auf der Insel. Schon die Nachbarschaft ist nicht aus Pappe: Gedrehter Ortbeton als Glockenturm der St.Maximilian-Kolbe-Kirche, eine Hochblüte aus den 70ern, inmitten von gestapeltem Beton als Wohnungen. Der „Neue“ steht da genau richtig, besetzt zwischen den Schönfelder Wettern, Parkplätzen und Supermarkt einen neuralgischen Punkt, ruht in seiner Sprache. „Ich bin Architekt“ antworte ich jetzt dem neugierigen Özgür und bin in Gedanken bei Corbusier und Konsorten: Das Haus als Weg, die Rampe als Haus; denke an den Kuhstall von Hugo Häring, der gleich bei Lübeck steht, und an sein organisches Konzept, und an die Raumrampen, Raumketten, Raumschichtungen von Koolhaas. Hier am Krieterweg wurden diese Ideen sauber durchgeturnt und ganz vorn platziert, als ein echter Korbleger von einem Dreamteam aus Berlin: Kersten und Kopp, Architekten BDA. Bereits 2005 wohlüberlegt und nominiert von einer Jury. Filigran konstruiert und auf Spannkraft getrimmt von den Tragwerksplanern IFB / Frohloff Staffa Kühl Ecker. Bezahlt von: Ihnen und mir. Aber vor allem, vorne weg und immer am Ball geblieben: Die SBH, Schulbau Hamburg, als Vertreter der Freien und Hansestadt Hamburg. Ihnen allen erstmal: Herzlichen Glückwunsch zu diesem Mittelstreckenerfolg! – Drinnen irgendwo weiter oben im Haus ist es ruhiger: Für Hausaufgaben, Gespräche, Gruppenarbeit, Rausgucken in den Park. Das gibt’s nicht an der Alster, das gibt’s nicht an der Elbe: „ Das ist Luxus! “ ruft Özgür und schüttelt aus dem Handgelenk: „Hat acht Millionen gekostet, oder sechs...“. Wie auch immer: Dieses Anlageobjekt ist nachhaltig und lässt schon heute eine hohe soziale und kulturelle Rendite erkennen. Und auch wenn es ein reines Kind von BSU und Hamburger Schulbau ist: Das so genannte Auftaktprojekt der internationalen Bauausstellung Hamburg ist erstmal gelungen.
Also nochmals: Herzlichen Glückwunsch und Dank den Bauherren, Dank den Architekten, Dank den Ingenieuren. – Ach ja: „Stellt noch ´ne zweite Musikanlage auf“ lässt Özgür schön ausrichten (und probiert dabei weiter an seinem neuen Rapsong.) Das neue Jugendzentrum von Kirchdorf ist zum Glück kein Fertighaus.
Peter Olbert
10.10.2011