Einfamilienhaus Rögenweg 32 in Hamburg-Volksdorf
Bauherr
Lagemann Projektentwicklung
Architekt
Tragwerksplanung
Architekturfotografie
Laudatio
Wir befinden uns in Volksdorf in einer Gegend, wo der Bautypus der Hamburger Kaffeemühle erfunden sein könnte. Der Baumbestand ist hier so hochgewachsen wie die Grundstücke großzügig sind; die Häuser der Nachbarn orientieren sich noch an den Häusern der Nachbarn und nicht an den Fotos vergangener Urlaube. Und doch gibt es hier im Rögenweg neuerdings ein Einfamilienhaus, das sich trotz seiner Anpassungsfähigkeit beim genaueren Hinsehen vom Einerlei abhebt. Ist dieses Anderssein dem schmalen Grundstück geschuldet, das vorgibt, seinen Eigentümern Zwänge aufzuerlegen? Und legitimiert dieser Nachteil, den Vorgarten in eine Art Tiefgaragenzufahrt zu verwandeln und sich des Schrägdaches zu entledigen? Oder offenbart sich hier vielleicht eine Haltung, auch anders sein zu wollen, äußert sich hier das Bedürfnis, dem Understatement der Umgebung ein kleines Schnippchen schlagen?
Beim Näherkommen wird es eindeutig: Hier hatte ein Bauherr eigene Vorstellungen. Und zu deren Umsetzung konnte er anscheinend auf kundige Fachkräfte zurückgreifen. Wenn wir den Markt der Einfamilienhäuser betrachten, sollten wir in jedem Fall genau unterscheiden: Zwischen sogenannten „Architektenhäusern“ und den „von Architekten geplanten Häusern“. Was begeistert nun eigentlich einen Architekten an einem Haus, das von einem anderen Architekten geplant wurde?
Wie bereits angedeutet: Der Zugang dieses Hauses ist sehr großzügig, für Fußgänger wie für Autos, ist ohne Hecke oder Zaun der Öffentlichkeit zugewandt und in jedem Fall multifunktional. In Hausbreite werden wir in Richtung Eingang geführt, tauchen mit jedem Schritt in das Gelände ein, treten unter den auskragenden Kubus: Das ganze Haus ist jetzt Vordach. Weite Fensteröffnungen vor und über uns zeigen sich ebenfalls hausbreit, sind millimetergenau, ohne Leibung und ohne Ansatz zu den geschlossen Klinkerflächen eingesetzt. Es wird sofort klar: Das Material gleicht zwar den Nachbarhäusern, doch diese Tapete aus Stein kann nur sich selbst tragen, will das Kräftespiel von Masse und schwebender Erscheinung forcieren.
Auch wenn diese Kiste ernsthaft und klug dekoriert wurde. Es wäre sicherlich zu einfach, den geschärften Monolith zu einer Qualität an sich zu erheben. Schon Adolf Loos hat uns mit seinen Raumplänen gezeigt, welche raffinierten Raumabfolgen sich hinter einer einfachen Gebäudegeometrie verstecken können. Diese Erinnerung kommt jetzt nicht von ungefähr.
Jetzt wo wir eingetreten sind und langsam wieder empor schreiten, machen uns die unverputzten, grau schimmernden Wände klar: Nicht nur der Vorgarten, das ganze Bauwerk ist aus Beton. So können die glatten, freitragenden Decken die beiden Seitenwände des Hauses mühelos erreichen. Hell und natürlich durchspülen die großen Fensterflächen das Gebäude in beide Richtungen mit viel Volksdorfer Grün.
Die Enge des schmalen Grundstücks ist vergessen und lässt einen fragen: Wie können diese weiten Räume in diese kleine Kiste passen? Es ist so simpel wie wirkungsvoll: Der in der Mitte platzierte Kern zoniert die verschiedenen Wohnbereiche ohne Sie voneinander abzutrennen, lässt Durchblicke und Verbindungen zu, schirmt ab – und erfüllt die jeweiligen Wünsch nach Versorgung mit Küche, Bad etc.
Entlang dieses Kerns schraubt sich das Haus über kurze Treppen Ebene für Ebene höher, immer um etwa ein halbes Geschoss, je nach Nutzung mal etwas mehr, mal etwas weniger, vorbei an abgesenkten Sitzlandschaften, Kinderzimmern und Schlafräumen, bis wir wieder draußen stehen auf der abgesenkten Dachterrasse, geschützt und wieder live inmitten von Volksdorfer Grün.
Diese gebaute Interpretation trifft einen Satz von Toyo Ito: „Architektur ist der Weg zur Ruhe“. Und wenn es in jungen Familien anfangs immer etwas lauter zugeht und sich das Leben über das ganze Haus verstreut: Auch später wird dieses Gebäude für ein fortschreitendes Familienleben wie auch für andere Lebensentwürfe verschiedenartige Wohnsituationen zulassen. Den aktuellen Forderungen nach Nachhaltigkeit und nach Rücksicht auf unsere Ressourcen begegnet das Haus mit am Standort verhafteter Flexibiltät.
Volksdorf ist nun um ein Stück Baukultur reicher geworden und hat die Jury des AIV inspiriert. Die Wahl der Mittel legt zudem nahe, dass diese Übersetzung der Hamburger Kaffeemühle weitere Fans auf sich ziehen wird. Wir gratulieren dem Bauherrn „Lagemann Projektentwicklung“, den Architekten „LA`KET Architekten“ und den Tragwerksplanern „OSJ Ingenieure“.
Peter Olbert
Hamburg, 09.10.2012