Sanierung und Erweiterung der Alsterschwimmhalle
Bauherr
Architekt
gmp Architekten – von Gerkan, Marg und Partner GbR, Hamburg
Tragwerksplanung
Architekturfotografie
gmp
Laudatio
„Avantgardistische Baukultur mit Schönheitsfehlern! Architektonisches Juwel in trister Stadtkulisse! Zankapfel für geldbewusste Steuerzahler!“ Und: „Gitterträger machen die grazile Glashaut faltig, hässlich! Dicke Rohre blasen Frischluft an die Scheiben - als hätte man vorher nicht über eine bessere Lösung nachgedacht!…“ So lauteten die O-Töne in der Wochenschau.
Es ist das Jahr 1973: Schon vor sieben Jahren hatte der dänische Architekt Jörn Utzon mit leeren Taschen Australien für immer verlassen. Nun, am 20. Oktober 1973 wird nach zwei Jahren Vorplanung, nach vierzehn Jahren Bauzeit und nach einer Kostensteigerung von etwa eintausend-vierhundert Prozent das emblematische Gebäude von Queen Elizabeth endlich eingeweiht: Die Oper von Sidney. Doch die Empörung in der Wochenschau war schon genau 9 Monate alt und galt einem ganz anderen Bauwerk.
Es ist der 20. Januar desselben Jahres. An diesem Tag haben die Hamburger bereits Ihre zweite Oper bekommen, eine Oper, in die jede und jeder für 2,50 Mark reinkommt, sofern er ein Badehose oder einen Badeanzug trägt: Die Hamburger Schwimmoper, mit bürgerlichem Namen: Alsterschwimmhalle, gelegen an der Sechslingspforte im bereits wieder aufgebauten Stadtteil Hohenfelde. Nun wird in Hamburg bei dieser neuen Schwimmhalle mit ihrem 4,5 Millionen-Liter-Becken überraschend genau hingeschaut, auf die Gestaltung der Fassade, auf den Städtebau und die Nachbarschaft. Und es wird nachgerechnet: Statt vierundzwanzig, dreiunddreißig Millionen, neun Millionen Euro höhere Baukosten! - Man traut sich endlich was, hinter der Kamera, aber vor allem davor:
Denn auch in Hamburg will man bereits 1961 etwas Besonderes, ein technisches Meisterwerk, eine architektonische Innovation, ein eigenes Raumfahrtprogramm für den internationalen Schwimmsport, der für das Fernsehen in hellem Tageslicht erstrahlen soll. Dafür lobte man einen Hochbau-Wettbewerb aus und ließ sich dann noch 7 Jahre Zeit für die Planung. Und ein Architekt war nicht genug: Man verheiratete die ersten beiden Preisträger, Horst Niessen und Rolf Störmer, zwangsweise und hatte auch kein sittliches Problem, den Bund mit einem dritten Architekten als Spezialisten zu erweiterten: Walter Neuhäusser. Es sollte ein Schalenbauwerk werden, dass es so noch nicht gegeben hat, etwas großes - leicht an Gewicht, schwer zu berechnen. Hyperbolische Paraboloidschalen, so nennen es die Insider (und es geht dabei angeblich nur um eine Verdrehung von geraden Linien). Doch das ging nicht ohne Engagement von weiterem Spitzenpersonal: Jörg Schlaich, damals noch angestellter Projektingenieur im Büro Leonhardt und Andrä.
1961 gibt es in der Bauwirtschaft noch keinen Computer, keine Finite-Elemente-Methode, bestenfalls Lochkarten. Dafür gibt es: Eine Theorie und ein optisches Modell. Bei der Wasserreinigung vertraut man jetzt auf Ozon statt Chlor. Der Eurocode ist noch weit weg, so dass es tatsächlich klappen kann, 96 Meter mit 8 cm Betonstärke zu überspannen und alles nur auf drei Diagonalstützen abzulasten.
Und auch da haben die Zuschauer von 1973 genau hingesehen, Zitat: „Perfekte Schwimmbad-technik! Niedrige Preise garantiert! Ein faszinierendes Dach, das durch Offenheit und unbegrenztes Raumgefühl besticht! Das Dach von Hamburg!“ - Es ist immer noch das Dach von Hamburg; bis heute zählt es zu den weltweit größten seiner Art.
Wenn es am schönsten ist, soll man aufhören. Geht das auch beim Bauen, wenn im Moment das Ziel der Excellence erreicht wird? Ein elegantes, beeindruckendes Dach, das aussieht wie die Momentaufnahme eines Mantas und eines Schmetterlings zugleich, nur ein Dach, ohne Fassade, ohne Heizung, als Sonnen- oder Regenschutz - … das vielleicht lediglich von einem hundert Meter langen Schwimmkanal gequert wird? - ein Dach, bei dem man einfach rufen kann: Champagner! Champagner für die Ingenieurskunst!
Wir können es leider nicht bei der Kunst belassen, der Kunst, die uns gerade gezeigt hat, wie Effizienz und Schönheit zusammenhängen können: Für diesen Business Case ist eine vertiefte Berechnung zum Verhältnis „Aufwand zu Nutzung“ gefordert.
Kommen wir nach Rückschau und Rückbau daher zum eigentlichen Anlass am heutigen Abend: Zur Architektur in der Architektur, dem Weiterbauen und der besonderen Würdigung, dass dieser Schmetterlingsrochen jetzt auch mit voller Montur sichtbar und erlebbar geworden ist, dass er angefangen hat zu schillern und zu glänzen, dass es ein Bauwerk ist, das - in Bezug auf seinen Nutzen - in jedem Fall ein Vielfaches wieder einspielen wird.
Dafür wurde das Champagner-Schalendach sorgfältig wiederhergestellt, so dass es sich weiterhin über einer Grundfläche von viereinhalbtausend Quadratmetern an den Spitzen 24 Meter weit in die Höhe schwingt. Und es wurde all der alte Kram, die monströse Tribüne, das Rutschen-Sammelsurium und der Schnickschnack rausgeschmissen, der die Wasserlinie beeinträchtigt, all das Hoch-und-Runter und das Seitlich-schräg-und-wieder-zurück der Wegeführung, was wie ein einziger Strömungswiderstand daherkam, der sich schon bei der verwundenen Anfahrt über das angrenzend Wohngebiet einstellte.
Jedoch einer der sogenannten Keyfigures bei diesem Weiterbauen besteht tatsächlich aus zwei. Erstens: Mit drei neuen Schwimmbecken wurde das Angebot an Schwimmflächen insgesamt um ein Viertel vergrößert. Und zweitens: Das Angebot konzentriert sich wieder auf das Wesentliche, das Schwimmen. Die Besucher und Besucherinnen dürfen das Schwimmen aber auch weiterhin mit dem Schwitzen in der Sauna oder im großzügigen Fitness-Bereich kombinieren.
Mit Wärmerückgewinnung und moderner Regelungstechnik wird jetzt eine deutliche Reduzierung des Energieverbrauchs erzielt. Zudem wurden ein paar Raffinessen eingebaut: In der Decke ist ein Korrosionsschutz-System installiert, das mit Schwachstrom betrieben wird; die originale Fassadenkonstruktion erhielt neben neuen Isoliergläsern neu entwickelte Teleskop-Kolben-Auflager, die die Schwingungen des Dachs ausgleichen. An den Außenecken können diese bis zu 30 cm betragen.
Im neuen, allseitigen Licht sind alle gut beleuchtet, niemand braucht sich zu verstecken, niemand wird vorgeführt, wenn er in den sechzigtausend Kubikmeter Luftraum eintaucht, einen Raum, der alle Besucher in den gleichen Maßstab hüllt und zugleich eint, bevor Sie abtauchen. Und es ist egal, welche Tageszeit es ist. Denn es sind das fortgeschriebene Farb- und Lichtkonzept der Planer, die freigelegten und die gewählten Materialien, die die Rahmung vollenden und eine ganz besondere Stimmung erzeugen. Ab jetzt könnte es statt Schwimmoper auch Schwimmtempel heißen.
Hier darf man auch eine Badehose aus Brokat tragen. Leider berechtigt das nicht mehr, mit dem Fahrstuhl auf den 10er zu fahren, denn der alte Sprungturm ist mittlerweile eine reine Skulptur. Dafür gibt es jetzt dort, wo die „neue“ alte Halle endlich bis an die Fassade reicht, einen neuen Sprungturm mit eigenem Becken. Auch hier zeigt sich das vollendete Ensemble aus Alt und Neu als Best Practice für die gelungene Vereinigung von Nach-Entwerfen und Erinnerungskultur.
Nun da der Umbau fertig ist, scheint es, als wäre es immer so geplant gewesen, als könnte es anders gar keinen Sinn machen. Für diese Leichtigkeit, diese Eleganz und Lässigkeit, braucht es bekanntermaßen ein paar Zutaten, für die man ins obersten Regal greifen muss: Profunde Erfahrung und Forschergeist, Überzeugungsarbeit und Fingerspitzengefühl, Ausdauer und vereintes Zutun vieler ganz unterschiedlicher Akteure. Und natürlich braucht es mehr als nur Kleingeld, genauer gesagt: 80 Millionen Euro Steuergeld. Sechzig Millionen davon übernahm die Stadt und zehn Millionen der Bund.
Doch bevor wir das einst angestammte Element verlassen und uns wieder auf den Landgang besinnen, lassen Sie uns den Besuch in der kuscheligsten Wohlfühl-Lounge der Stadt ausklingen: Bei 32 Grad im Entspannungsbecken auf der Empore mit Blick auf Schwimmer und Springer, mit Blick auf Park und bewegte Stadt in einer überdimensionalen Badewanne - zum Meditieren, zum Plaudern, zum Abhängen. Da ist es fast verzeihlich, dass die Alster außer Sicht ist.
Beenden wir nun die Rechnung: Teilen wir bauliche durch körperliche Ertüchtigung, kommen wir auf eine glatte Eins. Hier in der Alsterschwimmopernhalle hat jeder Bürger, jede Bürgerin Zugang, wird in voller Pracht und Einzigartigkeit sichtbar, kann emanzipiert seine bzw. ihre Bahnen ziehen oder findet sich im Lehrschwimmbecken zur Gruppengymnastik zusammen, jenseits getarnter Netzwerke und bar jeder Statussymbolik. Hier geht jeder aufrecht, wenn er für eine kurze Zeit zurückgleitet in das flüssige Element. Und wenn er abtaucht, dann ist es nur für die Länge eines Atemzuges.
Unser Dank gilt daher den Architekten, die Ihre Virtuosität bei dieser Bauaufgabe wieder einmal unter Beweis gestellt haben, im gleichem Maß wie den virtuosen Ingenieuren, die dort angeknüpft, wo Sie einst aufgehört haben. Unser ganz besonderer Dank gilt heute vor allem der Bauherrin, ihrer Entscheidung für den Fortbestand eines durch und durch hanseatisch gestimmten Wahrzeichens, seiner konsequenten Durchsetzung und Betreibung, die eine ungezwungene und zugleich geschützte Begegnung einer offenen Gesellschaft alltäglich werden lassen, für jeden erschwinglich und erlebbar - bis eine Stunde vor Mitternacht.
Die Schwimmoper an der Sechslingspforte, auch wenn sie jährlich mit etwa einer halben Million im Vergleich etwa nur 5 % der Besucher der Sydney-Oper aufweisen kann, bleibt die beliebteste Schwimmhalle der Stadt. Der AIV Hamburg freut sich zusammen mit allen Hamburgerinnen und Hamburgern und möchte heute die besondere „Empörung“ mit Ihnen teilen über ein wunderbares Bauprojekt und dessen architektonische Vollendung nach 50 Jahren. Dies ist ein Ort geblieben, an dem die Wahrscheinlichkeit vielleicht doch ein kleines bisschen höher ist, dass uns einst wieder Schwimmhäute wachsen.
Peter Olbert
Hamburg, im Oktober 2024