Baakenhafenbrücke HafenCity
Bauherr
HafenCity Hamburg GmbH
Architekt
Wilkinson Eyre Architects, London
Tragwerksplanung
Büro Happold Engineering, Berlin
Architekturfotografie
Laudatio
Einige von Ihnen haben sicherlich auf dem Weg hierher ein AIV Bauwerk des Jahres 2006 – die Shanghaibrücke – überquert. Nach acht Jahren zeichnet der AIV Hamburg wieder eine Straßenbrücke als Bauwerk des Jahres aus. Wieder in der HafenCity – gar nicht weit entfernt von hier, die Baakenhafenbrücke.
Es ist sicherlich kein Zufall, dass beide Brücken in der HafenCity liegen. Einerseits sind hier neue Verkehrswege notwendig, andererseits bietet dieser Schmelztiegel des aktuellen Bauens in Hamburg ein Forum für innovative Bauwerke. Schon im Wettbewerb wartete auf die Planer der Baakenhafenbrücke ein Potpourri an Randbedingungen und Forderungen Der ausgeführte Entwurf, welcher aus einem beschränkten Wettbewerb als Sieger hervorging, setzt diese Anforderungen vorbildlich um. Aus meiner Sicht sind es die Gegensätze und die – vermeintlichen – Widersprüche, die dieses Bauwerk besonders machen:
Die Baakenhafenbrücke ist Verbindungsweg und Aufenthaltsort.
Sie ist Bestandteil einer wichtigen Verbindungsachse in der HafenCity und schließt das zukünftige südliche Baakenhafenquartier an das Herz des neuen Stadtteils an. Gleichzeitig ist die Brücke aber auch ein Ort mit einer hohen Verweilqualität. Die Grünachse des Lohseparks im Norden setzt sich auf der Halbinsel fort, so dass die Baakenhafenbrücke auch Element dieses Grünzugs ist. Die Trennung der Fußgängerbereiche vom restlichen Verkehr erfolgt nicht etwa durch zusätzliche Wände. Sie entwickelt sich aus dem Tragwerk heraus. Damit wird die Brücke in einer gelungenen Umsetzung beiden Aufgaben gerecht.
Die Baakenhafenbrücke verbindet Aussicht und Durchsicht.
Ist eine große Durchfahrtshöhe gefordert, so geht dies oft auf Kosten der Brückennutzer, da das Tragwerk über der Fahrbahn liegt und die Aussicht einschränkt. Diese Problematik wurde hier überzeugend gelöst. Auf einer Länge von 160 Metern überspannt die Brücke mit drei Feldern die Einfahrt des Baakenhafens. Der stählerne Überbau ist dreigeteilt: Die beiden seitlichen Felder bilden mit den zwei zu V-förmigen Stützen aufgelösten Pfeilern jeweils einen Rahmen. Auf deren Kragarmen ruht das eingehängte Mittelstück. Das eigentliche Brückentragwerk besteht aus geschweißten Hohlkästen, welche über und unter der Fahrbahn verlaufen. Dem Kräfteverlauf angepasst ragen sie über den Pfeilern deutlich aus der Brückenebene heraus. In Brückenmitte und an den Enden fallen sie nahezu auf das Straßenniveau herab. So können Auto- und Fahrradfahrer einen Blick auf die Umgebung erhaschen. Fußgänger haben freie Sicht. Teile der auskragenden Fußgängerwege wurden sogar zu Belvederes erweitert. Dabei folgen die Fußwege nicht dem Straßenniveau, sondern bieten durch Hoch- und Tiefpunkte einen abwechslungsreichen und schwungvollen Weg.
Gleichzeitig ist unter der Brücke ausreichend Platz für Sportschifffahrt, Fähren und Barkassen, die den Baakenhafen beleben. Die Promenaden zu beiden Seiten des Hafenbeckens werden unter der Brücke fortgeführt und erlauben einen freien Blick auf deren Unterseite.
Die Baakenhafenbrücke bietet Flexibilität und Trennung.
Die Trennung zwischen Fahrbahn und Gehwegen scheint eine zukünftige Nutzungsänderung zu beschränken. Durch die Flexibilität des Raumes zwischen den Trägerachsen erlaubt die Brücke jedoch eine zwei- und dreispurige Verkehrsführung. Die beiden Radspuren bleiben erhalten. So kann kurzfristig auf Großereignisse und dadurch geänderte Verkehrsflüsse reagiert werden. Schließlich entsteht direkt neben der Brücke auf dem Baakenhöft eine große Veranstaltungsfläche. Mittelfristig wird hier eine markante Nutzung in aufregender Architektur entstehen. Die Baakenhafenbrücke wird auch diese Herausforderungen meistern.
Die Baakenhafenbrücke vereint Beweglichkeit und Wirtschaftlichkeit.
Gerade hier in Hamburg wissen wir nur zu gut, dass bewegliche Brücken einen hohen Unterhaltungsaufwand mit sich bringen. Überraschend einfach und zugleich genial liefert diese Brücke dafür eine ganz neue Möglichkeit – der Tide sei Dank. Das mittlere Segment kann mit einem Ponton durch die Flut angehoben und zur Seite gefahren werden, um großen Schiffen Platz zu machen. Mit ablaufendem Wasser wird der Mittelteil wieder in seine Ursprungsposition gebracht. Hierfür wurde der schöne Begriff der Minimalbeweglichkeit erfunden. Das Verfahren benötigt keine großen technischen Einrichtungen als Bestandteil der Brücke, auch ein teurer Schwimmkran zum Ausheben ist nicht erforderlich. Damit wurden die Forderungen des Bauherrn optimal umgesetzt: Mit geringem Aufwand eine weitere Flexibilität in der Nutzung zu erreichen. Einmalig in der Welt!
Die Baakenhafenbrücke kann nachhaltig und außergewöhnlich sein.
Erstmals wurde bei einer deutschen Brücke die Nachhaltigkeitsbewertung in den Wettbewerb integriert. Betrachtet wurden dabei ökologische, ökonomische, funktionale, technische und prozessorientierte Kriterien. Die Beurteilung erfolgte anhand des Bewertungssystems der Bundesanstalt für Straßenwesen. Das Ergebnis: „sehr gut“! Beispiele für Nachhaltigkeit an diesem Bauwerk sind die bereits erwähnte Flexibilität in der Nutzung, aber auch die Verwendung dicht geschweißter Stahlhohlkästen, welche innenseitig keinen Korrosionsschutz benötigen. Zertifizierung für Nachhaltigkeit: Das klingt nüchtern, berechnend - und lässt nicht auf ein spektakuläres Bauwerk hoffen. Doch genau so eines ist entstanden. Das Tragwerk ist skulptural herausgebildet, die Beleuchtungskörper ragen extravagant empor. Für hanseatische Verhältnisse vielleicht schon fast aufdringlich. Aber: ein Hingucker und Im-Gedächtnis-Bleiber, der zukunftsfähig ist und damit im besten Sinne nachhaltig.
Und vielleicht führt uns die Brücke ja bald zu Bauwerken der zukünftigen Jahre? Wieder einmal geht von der brückenreichsten Stadt Europas ein Impuls für modernen zukunftsorientierten Brückenbau aus. Den beteiligten Bauherrenvertretern, Architekten und Ingenieuren gratulieren wir zu dieser wegweisenden Brücke, ein verdientes Bauwerk des Jahres 2013!
David Böning, Oktober 2014