Maritimes Wohnen am Kaufhauskanal

Maritimes Wohnen am Kaufhauskanal -

Bauherr

Behrendt Gruppe GmbH & Co. KG, Hamburg

Architekt

Wettbewerbsentwurf: ​ BIG Bjarke Ingels Group, Kopenhagen I Leistungsphasen 1-5: Windels Architekten, Hamburg

Tragwerksplanung

Mädge Statik, Ingenieurbüro für Bauwesen, Brackel

Laudatio

Vieles ist in den letzten zwei Dekaden passiert im Harburger Binnenhafen. Erfrischend Unkonventionelles, städtebaulich mitunter etwas zusammenhanglos changierend zwischen Industriedenkmal und Hightechbox. Dieses Areal hat sich nicht erst seit der IBA als das eigentliche Stadtlabor Hamburgs etabliert, lange vor dem Schlagwort vom „Sprung über die
Elbe." Und die Dynamik scheint ungebrochen.
Neuestes Mitglied in diesem Club sind die Stadtwohnungen am Kaufhauskanal, ein Wohnquartier wie ein Mikrokosmos im ehemaligen Hafenarreal. Der Entwurf kam, noch zu Zeiten der IBA, prima prima aus Dänemark, vom mittlerweile weltweit erfolgreichen
Büro BIG - Bjarke Ingels Group in Kopenhagen.
Wozu also in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah. Erstaunlich aber wahr: In Hamburg hat es jahrzehntelang kein so eindeutig und im besten Sinne skandinavisch geprägtes Beispiel von Städtebau und Architektur gegeben. Hier findet man genau das, was uns in Schweden, Finnland und vor allem in Dänemark an entspannter Modernität immer wieder begegnet und fasziniert: Klarheit ohne dogmatische Strenge, spielerisch freie Formensprache in gestalterischer Einheitlichkeit, die sich aus zwei, drei Grundgedanken herleiten lässt. Das Wichtigste aber: Im Mittelpunkt steht die Nutzungs- und Lebensqualität der
Bewohner.
So auch hier. Trotz hoher baulicher Verdichtung, wird ein hohes Maß an innen- und außenräumlicher Individualität erreicht. Das gilt für Freiräume, Blickbeziehungen,
Baukörperzuschnitt und Grundrissaufteilung bis hin zur Fassadengestaltung.

Aber der Reihe nach:
Das Baugrundstück wird zunächst in schachbrettartig versetzte Baufelder aufgeteilt. Auf jedem diese Baufelder entsteht ein typengleiches Wohnungshaus, dessen Giebelseite einerseits zum Kanal oder der Straße und auf der anderen Seite zur Baulücke zwischen den Nachbarhäusern
ausgerichtet ist.
Diese Typen haben es nun in sich. Eigentlich schlichte Satteldachhäuser aber eben mit einem entscheidenden Unterschied: Der First verläuft über die Diagonale des Rechtecks. Dieser simple Trick genügt um Leben in die Bude zu bringen. Die geneigten Dachflächen erzeugen umlaufend ansteigende bzw. abfallende Traufkanten. Das sorgt für Dynamik. In diese schrägen Typen werden nun Fenster, Türen und Loggien geschnitten und zwar so, wie es für
die jeweilige Wohnung am Besten ist.
Die Entwurfsmethode erinnert mich an die gute alte Zeit meines Studiums, wo wir unsere Baukörperideen erst in Knetmasse formten und dann anfingen mit dem Cuttermesser darin
herumzuschneiden und zu modellieren.
Wenn der Entwurf steht, gilt es die gefundene Grundform in die rauhe Wirklichkeit hinüberzuretten und 1:1 in ein Bauwerk zu übertragen. Was sind jetzt die entscheidenden
Merkmale, die keinesfalls verwässert werden dürfen?
Da ist zunächst die Großform, die ihre markanten Konturen bewahren muss. Das bedeutete für die Umsetzung: Keine Dachüberstände und materielle Einheitlichkeit von Dach- und Wandflächen. Einschnitte in die Konturen nicht kaschieren, sondern im Gegenteil die Negativformen spannungsvoll mit maximalem Kontrast markieren. Aus diesen Prämissen resultieren die schwarzen Zinkpaneele für Außenwand- und Dachflächen im Wechsel zu schneeweißen Verkleidungen auf Deckenuntersichten und Fassadenflächen der Loggien sowie für Leibungen und Sturzuntersichten der Fenster. Alles sauber durchdetalliert. Sowas macht
richtig Arbeit – geleistet vom Büro Windels Architekten aus Hamburg.
Dazu die Grundrisse mit ökonomischer Aufteilung als Dreispänner. Keine trendigen „Wohnlofts", sondern auch für Mehrpersonenhaushalte richtig brauchbare Wohnungen mit rechtwinkligen und gut proportionierten Zimmern, neutral erschlossen über Flure. Als Highlight die Galeriewohnungen
in den Ober- und Dachgeschossen. Hier wohnst du gerade und lebst doch schon.
Last but not least Freianlagen und Ingenieurleistung: Da das Grundstück auf der Rückseite an den Kanal grenzt und das Netz der Erschließungswege frei von Durchgangsverkehr bleibt, ergeben sich zwischen den Häusern eher privat anmutende Freiräume. Trotz der relativ dicht zusammenstehenden Bebauung entsteht hier durch die geneigten Steildächer mit den teilweise tief abfallenden Traufen kein Gefühl der Enge. Zwei halbe Baufelder bleiben zudem für Spielflächen und als kleine Quartiersplätze frei. Die dünenartige Bepflanzung unterstreicht
den skandinavisch maritimen Gesamteindruck.
Die gesamte Anlage ist mit einer Tiefgarage unterbaut, die über Treppenhäuser und Aufzugsanlagen barrierefrei an die Wohnungen angebunden ist. Wie die gesamte
Bauwerkskonstruktion entwickelt vom Ingenieurbüro Mädge.
Der AIV hat in den letzten Jahren immer wieder vergeblich nach preiswürdigen Beispielen für den in Hamburg seit über 10 Jahren so intensiv und flächendeckend betriebenen Wohnungsbau gesucht. Hier am Kaufhauskanal in Harburg sind wir fündig geworden.

03.10.2017 Mathias Hein, Freier Architekt in Hamburg

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